Der Weg zu den Kanaren ist relativ einfach. An der Küste Marokkos entlang und irgendwann rechts abbiegen. Nach der erfolgreichen Bewältigung der Straße von Gibraltar lassen wir es jetzt etwas lockerer angehen. Wir setzen Segel. Wir haben jetzt zwar reichlich Tiger im Tank, aber wir sind nun mal ein Segelboot.
1. Marokkanische Küste ab Kap Espartel
Wir wollen wegen der zu erwartenden Fischereifahrzeuge mindestens einen Abstand von 25 sm zur Küste erreichen und natürlich die Grenze der Marokkanischen Küstengewässer beachten, obwohl das andere Boote nicht zu stören scheint. Wir fahren relativ dicht am Kap Espartel vorbei und erhöhen den Abstand schließlich auf die gewünschte Distanz die wir ungefähr auf Breite von Larache erreichen. Es ist mittlerweile Montag 03:00 Uhr. Dann geht es mehr oder weniger parallel zur Küste weiter. Wir laufen unter Segel vor dem Wind, mit gerefftem Groß und zunächst voller Genua, dann reffen wir auch diese um ca. 5-6 kt Reisegeschwindigkeit zu erreichen. Nachtwachen werden für jeweils 3 Stunden angesetzt und so geht es weiter in den Morgen. Kaum Fischer zu sehen, wir sehen aber viele Frachter, die wohl hinsichtlich der Distanz zur Küste die gleiche Idee hatten. Der Wind kommt mittlerweile von hinten und wir lernen Freud und Leid des Vorwindsegelns kennen. Genau von hinten ist nicht gut, weil dann die Segel ständig killen (schlagen, nicht gut für das Material), etwas von der Seite ist besser, dann stehen die Segel schöner. Wir spielen mit der Segelstellung und dem Kurs. Der Seegang ist immer noch hoch, ca. 2 m, lange Atlantikdünung. Gegen Abend haben wir genug davon und fahren näher an die Küste. Hilft auch nicht wirklich. Der Schwell kommt seitlich und wackelt uns gehörig durch. Kein Vergnügen. Die Situation dauert insgesamt 36 Stunden, die Skipperin will sterben vor Seekrankheit. Kurz bevor sie freiwillig über Bord springt wird es geringfügig besser. Wir befürchten allerdings, dass sich Geschirr und Gläser beim Gewackel irreparabel verabschiedet haben.
Rabat erreichen wir gegen 18:00 Uhr, ich kann mich an einen Musiktitel „The fires of Rabat“ von Mike Batt [1] erinnern. Am frühen Morgen fahren wir vorbei an Mohammedia und Casablanca. Ein Grund der Skipperin tief in die Augen zu blicken und Humphry Bogart zu zitieren (Kultig, einer meiner liebsten Filme! [2]). Gegen Mittag kommen wir an El Jadida vorbei und biegen etwas mehr nach Süden ab, stets auf der Hut, nicht die Marokkanische Souveränität zu verletzen. Wir sind nämlich immer noch in Spanien einklariert, führen also immer noch die Spanische Gastlandflagge. Gegen Mitternacht segeln wir auf der Breite von Safi und biegen weiter ab nach Süden.
Mittwochmittag kommt Essaouira vorbei, der Punkt bei dem wir in Richtung der Kanaren rechts abbiegen wollen. Der Kurs wechselt von 199 Grad nach 245 Grad und wir sagen Marokko Lebewohl.
2. Ärger mit dem Autopiloten
Gegen 15 Uhr läuft Tanuki plötzlich aus dem Ruder. Wir koppeln den Autopiloten ab und steuern zunächst von Hand. Kurze Kontrolle durch den Skipper bestätigt die erste Verdachtsdiagnose, der Autopilot hat seinen Geist aufgegeben. Der alte Trick mit Ausschalten und wieder Einschalten hilft nicht (der Autopilot ist ja auch nur ein Computer…..).
Erste Überlegung ist, dass die Steuereinheit welche die Hydraulikpumpe antreibt kaputt ist. Wie gut, dass wir Ersatz an Bord haben. Der Skipper krabbelt in die Eingeweide von Tanuki und tauscht selbige aus (nur 4 Stecker) – fortgeschrittenes Bootsyoga. Kein Erfolg. Die Richtung wird vom eigenständigen Kompass des Autopiloten aber korrekt angezeigt. Der kann also als Schuldiger ausgeschlossen werden. Nächster Kandidat ist die Hydraulikpumpe. Hydrauliköl ist genug im Tank, beim Einschalten surrt die Pumpe, es ist also Strom da und der Schubarm bewegt sich leicht, steht aber am Anschlag. Dies führt zur nächsten Idee, dem Lagesensor der elektronisch mitteilt, wie das Ruder steht. Der Sensor funktioniert, aber der Bolzen, welcher den Arm des Autopiloten und den Lagesensor an den Quadranten des Steuerbord-Ruders ankoppelt, ist gebrochen, vermutlich ein Ermüdungsbruch. Kein passender Ersatz ist an Bord, nun ist guter Rat teuer. Autopilot ausschalten und von Hand steuern, 24 Stunden am Tag bei einer Crew von 2 Personen? Ginge zwar prinzipiell für die restliche Fahrtstrecke von 2 Tagen, aber wir wollen uns das nur im äußersten Notfall zumuten. Der Skipper bindet den Schubarm einfach mit ein paar dicken Kabelbindern wieder an. Das ist zwar nur eine mehr oder weniger schlechte Notfalllösung, aber besser als ständige Handsteuerung. Egal – es funktioniert, bringt uns durch die Nacht und wird am nächsten Morgen nochmal in Ruhe verbessert (mehr Kabelbinder, klügere Positionierung).
3. Weiter zu den Kanarischen Inseln
Weiter geht es in Richtung Südwest, immer noch mit Wind von achtern. Die Wintersonne ist nicht mehr in der Lage, über die Solarpanels unsere Batterien komplett zu laden, wir legen also gelegentlich ein paar Motorstunden ein um die Batterien für die Nacht zu füllen. Mittlerweile ist es kalt in den Nächten und unsere Dieselheizung funktoniert nur noch manchmal. Auch hier muss der Skipper bei Gelegenheit mal nacharbeiten. Später stellt sich heraus, dass deren Brenner nur noch bei laufendem Motor anspringt. Problem zumindest ansatzweise gelöst. Dafür leidet unsere Toilette an Verstopfung, der Schwarzwassertank ist voll und will nicht ablaufen. Muss gerichtet werden, wir verwenden jetzt eine unserer anderen 2 Toiletten. Kein grosses Problem.
Mittwoch um 20:45 Uhr, eine Flotte von 20 Fischereifahrzeugen liegt auf unserer Kurslinie, der Skipper ändert den Kurs um durch eine sichere Lücke hindurchzufahren. Die Fischer dümpeln mit 1-2kt umher, wir machen den Motor wieder an und fahren einen Affenzahn von 6 kt.
Blick auf die Navigation und die Seekarten. Die geschätzte Ankunftszeit ist jetzt in einem Tag und 16 Stunden, die Rechnung unserer Navigationssoftware ist aber nur eine sehr grobe Schätzung da die Software ja nicht wissen kann, wie und wie schnell wir fahren werden. Nichtsdestotrotz gefällt mir die Schätzung aber ganz gut, würden wir doch am Freitagmorgen in Arrecife auf Lanzarote ankommen und hätten dann die Option weiter nach Marina Rubikon zu fahren, falls in Arrecife kein Platz mehr für uns frei ist.
Der Wind ist fast eingeschlafen, der wahre Wind nur noch 6-7 kt, davon müssen wir den Fahrtwind abziehen und kommen auf einen scheinbaren Wind am Boot von ca. 2 kt. Das reicht nicht um die Segel zu füllen, sie beschweren sich also. Was tun? Zunächst mal mit Motor durch den Pulk der Fischerboote, dann sehen, ob wir segeln können.
Exkurs: Scheinbarer und wahrer Wind
Fährt ein Fahrzeug durch die Atmosphäre so entsteht ein Wind entgegen der Fahrtrichtung. Dieser Wind ist relativ, d.h. er wirkt auf das Fahrzeug und kann im Fahrzeug gefühlt oder gemessen werden. Ein stillstehender Beobachter stellt hier keinen Wind fest. (Und nein, ich biege jetzt nicht zur speziellen Relativitätstheorie ab.) Dieser Fahrtwind wird stärker, wenn die Geschwindigkeit sich erhöht. Daneben gibt es den atmosphärischen Wind als Wetterphänomen, genannt wahrer Wind, welcher von beiden Beobachtern wahrgenommen werden kann. Den gefühlten Wind an Bord des Fahrzeugs nennt man scheinbarer Wind und er setzt sich aus der Vektoraddition der beiden Windkomponenten (wahrer Wind und Fahrtwind) zusammen. Fährt man gegen den Wind so wird der scheinbare Wind stärker, fährt man mit dem Wind, so wird er schwächer. Moderne Navigationsinstrumente können beide Windgeschwindigkeiten messen und berechnen, indem sie Fahrtgeschwindigkeit und Richtung als Vektor von dem gemessenen scheinbaren Wind subtrahieren [3].
Neue Wetterdaten müssen her. Der Skipper wirft die Kurzwellenanlage an und bestellt neue Winddaten per E-Mail. 5 min. später holen wir die Daten ab und integrieren diese in unser Navigationsprogramm. Leider gibt es hier auf dem Atlantik keine Mobilfunkmasten und kein bequemes Internet, aber Kurzwelle hilft, zumal es auf den Kanaren eine Relaisstation gibt (EA8URF), welche zwischen dem Internet und unserer Kurzwellenstation (VK4WRS) verbindet. Mit den frischen Wetterdaten errechnet jetzt der Bordcomputer eine Route welche die Ausnutzung des Windes optimiert. Die violetten Windpfeile in Abb. 5 geben hier Windrichtung und Windgeschwindigkeit für jeden Punkt und Zeitpunkt auf der Route an.
Um 22:20 Uhr dreht dann der Wind auf NNW, das Fahren mit den schon für die Nacht gerefften Segeln wird deutlich angenehmer, weil diese jetzt strammstehen und nicht mehr durch die Gegend killen. Tanuki schleicht sich durch die Lücke der Fischerboote durch. Die provisorische Befestigung des Autopiloten wird wieder locker. Kein Problem – wir haben noch genug Kabelbinder.
Donnerstag 3:00 Uhr, Wachwechsel. Wind und Segelstellung ohne Änderung, der Seegang hat nachgelassen, wir sind auf Kurs und machen 5 kt. Die Fischereiflotte ist mittlerweile verschwunden, war wohl keine gute Nacht zum Fischen. Etwa 7 sm hinter uns fährt ein Kanadischer Segler, das AIS sagt 12×7 m, ist wohl ein Katamaran. Noch weiter hinter uns ein Frachter und eine Superyacht. Blick auf den Autopilot – er schlägt sich tapfer und braucht momentan noch keine frischen Kabelbinder. Gut so! Bin im Cockpit und betrachte den Radarbildschirm, den Horizont und die Sterne. Zeit zum Nachdenken. Im Gegensatz zu letzter Nacht ist es nicht kalt, das Thermometer zeigt 19 Grad an. Zwischendurch ein Logbucheintrag und ein schneller Blick in die E-Mail. Wachwechsel ist um 6 Uhr.
Nächster Morgen gegen 10 Uhr Ortszeit, der Autopilot verrichtet brav seinen Dienst. Die Skipperin ist aufgestanden und trinkt 2 Tassen Kaffee, das heißt es geht ihr wieder besser. Kein Wunder, der Seegang ist runter auf ca. 1.20 m, dafür weht wenig Wind von schräg vorne, so dass wir es gerade noch mit dichtgeholten Segeln anliegen können. Hilft trotzdem nix. Die neuen Winddaten versprechen Windstärke 3 am Nachmittag, mal sehen. Wir motoren. Während der Nacht haben wir Besuch bekommen, ein fliegender Fisch [4] hat sich auf unserem Deck ausgestreckt und ist still verstorben. Jetzt sind wir endlich im Atlantik angekommen und müssen täglich das Deck absuchen (Fischpatrouille…..), da die kleinen Tierchen ansonsten anfangen zu riechen.
Gegen 13 Uhr frischt der Wind auf. Motor aus, wir segeln dicht am Wind. Großsegel im Reff 1, Vorsegel im Reff 1, wir machen zwischen 5,5 und 6,2 kt. Die Sonne scheint, die Wolkendecke reißt etwas mehr auf. 24,5 Grad im Cockpit. Wir kommen den Kanaren und dem ewigen Frühling näher.
Exkurs: Was ist ein Knoten?
Der Laie würde sagen: eine Verschlingung eines oder mehrerer Seile zur Befestigung, Verstärkung oder Verbindung. Klingt gut, abgesehen davon, dass es auf einem Segelboot keine Seile gibt. Es gibt hier nur Leinen. Hier hat der Knoten aber nur indirekt mit der Leine zu tun. In alter Zeit (so ab 1600) hat man die Geschwindigkeit eines Bootes durch eine Logge bestimmt [5]. Das ist ein Brett, welches an einer Leine ins Wasser geworfen wurde. Die Leine läuft jetzt aus und die Länge der ausgelaufenen Leine gibt die Geschwindigkeit an. Die Länge wurde durch Knoten in der Logleine markiert, welche der Seemann erfühlen konnte. Nach alter Konvention wurde die Logleine so geknotet, dass ein Knoten eine Geschwindigkeit von einer Seemeile pro Stunde entspricht (genau waren es 7,71m pro Knoten für eine Messzeit von 15s) [5]. Die Seemeile wurde als eine Winkelminute auf dem Längenkreis der Erde festgelegt. Nimmt man den Umfang der Erdkugel von ungefähr 40000 km, so teilt man nur noch durch 360×60 (Winkelgrad und Minuten) und erhält die Länge der Seemeile mit 1,82 km. Für alle die es nachgerechnet haben: die Rechnung stimmt so nicht. Angegeben ist der genaue Wert, der auch berücksichtigt, dass unsere Erde halt nicht perfekt “rund”, sondern ein Ellipsoid ist [6].
Heute berechnet der Navigator eines Schiffs Entfernungen in Seemeilen und Geschwindigkeiten in Knoten (kt), entsprechend der Zahl der Seemeilen pro Stunde [7]. Das alte Logscheit ist offiziell verschwunden, wird aber von traditionellen Seglern immer noch verwendet (teils aber mit anderen Messprinzipien) da es keine Elektronik enthält und nicht so leicht kaputtgehen kann. Wer ganz korrekt sein will verwendet für den Knoten das Einheitszeichen kn statt dem älteren kt aus der englischen Welt.
3. Endspurt
Donnerstag Abend 22:00 Uhr. Der Wind hat etwas gedreht und kommt jetzt von der Seite. Ideal zum Segeln, er bläst mit 13 kt wahrem Wind und schiebt uns in Richtung Kanaren. Die Wettersituation ist jetzt im Einklang mit der Vorhersage. Das passiert gelegentlich auch mal. Wir wundern uns.
Der Skipper hat das Vorsegel fast ganz aufgemacht und den Kurs noch etwas korrigiert, da wir jetzt bei der neuen Windrichtung anluven können. Am Nachmittag war Segeln am Wind angesagt und wir mussten den Kurs zugunsten der Windrichtung anpassen. Noch ca. 10 Stunden zu segeln und noch hält der Autopilot. Der Seegang hat zugenommen, ist aber noch moderat. Nervt trotzdem.
Wir segeln durch die Nacht in den bewährten 3-Stunden Wachen. Nix los. Gegen 5 Uhr sehen wir Lichter voraus, Mobilfunk bekommen wir gegen 6 Uhr. Oh, wir müssen die Uhren noch auf Ortszeit stellen. Die Marina in Arrecife die wir gegen halb Neun anrufen sagt uns ab, alles belegt. Plan B: wir segeln zum Südwestende der Insel und kontaktieren Marina Rubikon. Wir dürfen rein, aber erst um 12, da noch Plätze frei werden müssen. Also schnecken wir mal wieder rum. Halb 12 erreichen wir die Einfahrt, die freundliche Dame am Funk bittet uns herein, wo wir erst mal am Gästeplatz anlegen müssen um den Papierkram zu erledigen. Dort erwarten uns zwei (!) Marineros, die kompetent, schnell und entsprechend unseren Anweisungen unsere Leinen festmachen. Perfektes Anlegemanöver. Wir müssen aber noch etwas warten. Aus 15 Minuten werden 30, wir dürfen endlich ins Office und werden freundlich begrüßt. Hier haben wir das Gefühl, dass man sich wirklich freut uns zu empfangen. Gleiches gilt dann später, als wir vom Gästeplatz zu unserer Box fahren. Wir sprechen das Manöver vorher mit dem Marinero durch, da ein Wind von 12 kt im Hafenbecken weht, welcher uns seitlich vertreiben könnte. Wir wollen rückwärts in die Box fahren. Der Marinero bietet uns freiwillig an, zur Sicherheit mit dem Schlauchboot mitzukommen, falls uns der Wind quertreiben sollte (wie in Gibraltar passiert), wir nehmen das Angebot dankend an. So vorbereitet kann es ja nur klappen – und siehe da, das Manöver gelingt tatsächlich ohne Hilfestellung vom Schlauchboot auf Anhieb. Die Marineros lächeln, wir sind müde und glücklich, endlich eine Pause zu haben.
Nachtrag 19.30: Es wurde Pizza, unser Abendessen. Nach Besichtigung der Anlagen sind wir der Meinung, dass Marina Rubikon die sauberste, modernste und wohlorganisierteste Marina ist, die wir bisher gesehen haben. Leider gelang es uns nicht, das Unterteil des gebrochenen Bolzens abzumontieren. Wir müssen uns professionelle Unterstützung suchen. Jetzt aber ab in die Koje und Schlaf nachholen.
Literatur
1 https://www.youtube.com/watch?v=2ddvqaD2DzE
2 https://de.wikipedia.org/wiki/Casablanca_(Film)
3 https://de.wikipedia.org/wiki/Wahrer_und_scheinbarer_Wind
4 https://de.wikipedia.org/wiki/Fliegende_Fische
5 https://de.wikipedia.org/wiki/Log_(Messger%C3%A4t)
6 https://de.wikipedia.org/wiki/Seemeile
7 https://de.wikipedia.org/wiki/Knoten_(Einheit)
06/12/2022 um 16:45
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